Das Kichern der Violinen oder Pizzicato aus dem Hühnerstall
Die Seiteneinsteiger-Fördergruppe 5g der Max-Planck-Realschule besucht das Sinfonie-Orchester Wuppertal
„Wisst ihr, was ein ‚Pizzicato‘ ist? Nein? Gleich werdet ihr es hören! Tschaikowsky hat da etwas komponiert, das kommt euch vor wie ein plötzlicher Anfall von Kichern in einer ernsten Situation…. oder vielleicht auch wie Hühner im Hühnerstall! Hört mal genau hin!“
Diese kleine Ansprache des Dirigenten Jonathan Stockhammer ging an uns, die Besucher der Probe für das 4.Sinfoniekonzert am 11. und 12. Dezember. Wir, das sind 16 Jugendliche aus fünf Ländern (Afghanistan, Syrien, Iran, Mazedonien, Nigeria), die seit ungefähr einem halben Jahr an der Max-Planck-Realschule unterrichtet werden, mit ihren zwei Lehrerinnen Frau Moll und Frau Fröhlich.
Gespannt verfolgten wir, wie über 60 Musikerinnen und Musiker Teile des dritten Satzes aus Tschaikowskys IV. Sinfonie spielten. Das Besondere: wir saßen nicht etwa irgendwo am Rand oder abseits – wir saßen mittendrin!
Ein Teil saß zwischen den Blech- und Holzbläsern und der Kontrabassgruppe. Wenn die richtig loslegten, kitzelte es unter den Füßen; Trompeten, Posaunen und Tuba ließen sich auch nicht lumpen und begeisterten uns mit verschwenderischem Klang.
Acht von uns hatten den Platz vor der Schlagwerkgruppe, hinter der sehr hohen Piccoloflöte und neben den vier Hörnern. Schon mal erlebt, wenn direkt hinter einem die Becken fortissimo gegeneinander geschlagen werden von einem Berufsmusiker, der das richtig kann? Herr Schacht, der Pauker, schreibt recht freundlich im Konzert-Blog (http://www.wuppertaler-buehnen.de/sinfonieorchester/education/konzert-blog/#a) des Orchesters, die Becken besäßen „reinen Geräuschcharakter. Jedoch ist der metallisch zischende Klang mit seinen sehr hohen unharmonischen Teiltönen in der Lage, sich gegen das gesamte Orchester zu behaupten.“ Wir fielen jedenfalls fast vom Stuhl, waren aber jetzt gewappnet, denn auch Pauken (Herr Schacht) und die Große Trommel (Herr Clemens) wurden vom Komponisten Pjotr Iljitsch Tschaikowsky mit schön donnernden Passagen bedacht…
Die Piccoloflötistin (Frau Siebler) war so nett, uns immer ein Zeichen zu geben, wenn es wieder laut werden würde. Denn ihr Instrument ist zwar fast das kleinste von allen – aber es übertönt mühelos, genau wie die Triangel, durch die kristallklare Höhe der Töne das ganze Orchester. Erstaunlich: ausgerechnet die großen Pauken klangen dagegen zwischendurch so leise und sanft, dass man schon genau hinsehen und -hören musste… Das hinzukriegen ist nicht leicht, das muss man üben!
Wir können das jetzt beurteilen, denn Herr Schacht, Frau Hammer und Herr Rusinov waren extra für uns eine Stunde früher gekommen und zeigten uns ihre Instrumente, die wir alle ausprobieren durften. An Posaune und Trompete waren besonders die Mädchen so begabt, dass man ihnen gleich eine freie Stelle anbot. Mit Fagott und Oboe erzeugten wir herrliche Töne und bekamen sogar Mundstücke geschenkt. Die andere Gruppe bewies rhythmisches Geschick an Pauken, der Großen Trommel, dem Tam Tam, Bongos, der Triangel und dem Schellentambourin und machte ordentlich Lärm.
Im Laufe dieser Stunde wurde es aber auch aus anderen Gründen lauter im Raum: die Musiker trafen ein und spielten sich warm, ähnlich wie ein Sportler sich vorbereiten muss, damit er beste Leistung bringt. Man begrüßte uns freundlich, und tatsächlich durften wir dann auch noch an die Kontrabässe. Wir waren wirklich dabei, als gehörten wir schon ewig dazu. Toll!
Als dann alle saßen und der Konzertmeister Herr Mintchev ein Zeichen gab, wurde es erst leise, dann stimmten alle ihre Instrumente und der Dirigent kam herein. Zu unserer Überraschung wurden wir noch einmal durch Frau Hammer offiziell begrüßt und bekamen Applaus vom Orchester!
Nach einer interessanten und abwechslungsreichen Stunde, in der die Musiker immer wieder von Herrn Stockhammer erklärt bekamen, was noch ein wenig präziser oder leichter, weicher oder sachlicher, schneller oder lieblicher gespielt werden könnte, verabschiedeten wir uns, denn wir wollten noch auf der Hardt und im Botanischen Garten spazieren gehen.
Viel haben wir gelernt heute – so ganz nebenbei auch noch, wie man online eine Busverbindung findet, einen Fahrplan liest, Fahrkarten kauft, welche Bäume und Sträucher auf der Hardt wachsen, wie alt große Kakteen werden können und wie schön der Botanische Garten selbst im Winter sein kann.
Aber die Zeit mit den Musikern des Sinfonieorchesters war wirklich das Tollste, was wir seit langer Zeit erlebt haben! Wir bedanken uns und würden am liebsten bald wiederkommen oder mal ins Konzert gehen….
Dieser Text basiert auf den strahlenden Gesichtern und den begeisterten Äußerungen der Jugendlichen, denen wohl manchmal noch die (deutschen) Worte fehlen mögen, deren lebhafte Mimik und Gestik aber unverstellt deutlich zeigten, wie sehr sie diesen Vormittag genossen, wie ihnen die freundliche Zuwendung und das liebevolle Vertrauen der Musiker und Musikerinnen wohltat, wie die Musik sie berührte und der Klang des Orchesters und nicht zuletzt der Dirigent sie begeisterte.
Für uns als Begleitende war es einfach wunderschön zu sehen, wie die oft so müden Gesichter der Jugendlichen, die so viel zu verarbeiten und neu zu lernen haben, plötzlich lebendig wurden, sie ihre Scheu verloren und mutig aus sich heraus gingen.
Wir Lehrerinnen der Max-Planck-Realschule können uns nur herzlich bedanken, dass nach über zehn Jahren der engen Zusammenarbeit mit dem Orchester immer wieder solche Möglichkeiten geschaffen werden, dass das Education-Team nimmermüde die Kontakte zur Schule pflegt, die Musiker und Musikerinnen mitziehen und uns in jeder Hinsicht zeigen, was „Kultur des Willkommens“ für alle unsere Schülerinnen und Schüler tatsächlich bedeutet.